Frage: Parodien hast du nie gemacht?
Hab ich nie gemacht. Ah, doch. Ich musste, einmal. Ich war immer live-Künstler, ich
hab immer gesagt, ich kann das nicht, Play-back. Ich war auf einer Tournee aus München,
Harry Fox, "Die Herren Damen laden ein", da hatten wir eine Play-back-Show am
Schluss, jeder musste etwas machen, da hab ich Hildegard Knef parodiert. Da gibt es auch
noch ein Foto von, aber eben, in der damaligen Zeit, das ist jetzt auch 18 Jahre her, da
hab ich die Knef, mit der Zigarette, sie ist ja immer mit Zigarette aufgetreten, und den
langen Haaren parodiert auf der Bühne.
Nur als Gag hab ich einmal noch Zarah Leander parodiert, das war auch so ne lustige
Geschichte. Wir waren zu dritt auf der Bühne, drei mal Zarah Leander, das war eine
Komik-Einlage, es war nicht ernst gemeint. Sonst habe ich immer live gearbeitet und hab
das den andern überlassen, weil ich der Meinung war, die konnten das besser, obwohl ich
festgestellt habe, dass ich's auch nicht unbedingt schlecht mache.
Frage: Wo kommen deine Lieder her?
Also, da ja früher für mich nichts eigenes geschrieben wurde, hast du Lieder
gesungen, die vorhanden waren. Mein Interpret, der mich von Anfang an begleitet hat, ist
Neil Diamond. Ich bin in der Branche mehr oder weniger zu einem Neil Diamond Singer
geworden, die alten Fans, die wollen immer auch Neil Diamond Songs hören. Und auf der
anderen Seite mag ich natürlich irrsinnig: Tina Turner. Und Bette Midler hat mich sehr
geprägt. Da bin ich in Australien an diesen ersten oder zweiten Film rangekommen, der
hiess "The Rose".
Diesen Titelsong sing ich mittlerweile seit 15 Jahren, und er ist zu einer Art
Markenzeichen geworden. Das war meine beste, meine gefühlvollste Nummer, die ich je
gemacht habe, und ich glaube auch nicht, dass da je nochmals so etwas Vergleichbares sein
wird. Ich singe diese Titel alle auf englisch. Bis ich im Polygon die erste Revue gemacht
habe, da hat man mir dieses Lied umgeschrieben. Ich habe mich erst gegen diese deutsche
Version gewehrt, es hat einige Zeit gedauert, bis ich bereit war, dieses Lied dann auf
deutsch aufzunehmen. Und wir haben's dann aufgenommen auf CD, und ich muss sagen, der Text
kommt sehr schön, aber es hat nichts mit dem ursprünglichen Bühnenlied zu tun. Dieses
Lied hat mich die letzten 15 Jahre extrem begleitet. Wenn es mir mal schlecht ging, konnte
ich das mit diesem Lied rauslassen und verarbeiten. Und ich glaube, das haben die Leute
auch gemerkt. Wir haben dieses Lied im Polygon als Zugabe gegeben, wenn die Leute
begeistert waren. Und lustigerweise haben mich die Leute nach der Show immer auf das Lied
angesprochen, obwohl es gar nicht zur Revue gehörte. Es ist etwas ganz Besonderes.
Frage: Und heute, wo kommen die Lieder her?
Jetzt schreibt Roger Pfändler Lieder für mich, unser Regisseur und Produzent. Wenn
wir Revuen machen, entsteht etwas Neues, also muss etwas neu geschrieben werden. Da
müssen alle mitdenken und kreativ sein, und der Roger schreibt Texte und Melodien. Den
Rest erarbeiten wir gemeinsam in den Proben. Wir schmeissen auch Lieder wieder raus. Er
macht mir sehr viele Vorschläge, und dann sag ich, ja, das gefällt mir, oder das
gefällt mir nicht. Am Schluss steht, was wir alle haben wollen. Es ist schon schön, wenn
du Lieder singen kannst, wo du weisst, die sind für dich gemacht. Du bist der erste, der
sie interpretieren kann, Farbe reinlegen kann. Du erarbeitest selber deinen Weg, du singst
so, wie du es spürst und es möchtest. Und Roger arbeitet mit andern zusammen, die ihm
vielleicht einen Vorschlag machen, und er schreibt den Text dazu oder die Melodie, das
geht ineinander über.
Frage: Wie entsteht eine Show? Dieser Rote Faden?
Am Anfang steht eine Idee, meistens liefert Roger diese Idee. Und darauf, auf dieser
Linie, bauen wir dann auf. Bei der letzten Show wussten wir nicht recht, wollen wir
überhaupt einen Roten Faden. Wir haben mal angefangen, haben uns zusammengesetzt mit den
Leuten, die massgeblich daran beteiligt sind, die das Ganze tragen. Dann haben wird Lieder
zusammen ausgesucht, Kostümentwürfe zusammen erarbeitet. Dann haben wir eine Art Roten
Faden entwickelt. Eine Revue hat nicht unbedingt eine Story, obwohl die letzte hatte eine,
wir sind in einem Flugzeug über die Städte Träumen, Lachen, Geniessen geflogen. Und da
gab's immer mal wieder was zu sehen, wenn wir einen Stopp gemacht haben. Ich war einfach
die Stewardess, die Leute durchs Programm geführt hat. Ich hab die nächsten Städte
angesagt, wo wir dann gestoppt haben, und die Leute, die im Flugzeug sassen, haben was
gesehn.
Jetzt sind wir von dieser Richtung eher weg, wir haben einzelne Tableaus. Wir haben
Blöcke, die wir aneinander hängen, so dass wir viel freier sind. Es ist ja kein Musical,
und es ist kein Theaterstück. Wir haben ja auch Variété-Künstler, die müssen wir so
integrieren, dass die irgendwo im Programm auftauchen, das sind eigenständige Nummern. In
den Proben, auf der Bühne, wird der genaue Weg erarbeitet. Jeder muss etwas Kreatives
einbringen.
Frage: Das ist ein ganzer Apparat, der in Bewegung kommt. Du gehst nicht in irgendein
Warenhaus und kaufst dir ein paar Röcke?
Das muss alles erarbeitet werden. Die Leute haben keine Vorstellung, was hinter den
Kulissen alles abläuft, bis so eine Show nur schon gestartet werden kann. Und was
abläuft, während die Show läuft. Die Leute im Publikum geniessen es, dafür sind sie
gekommen. Da kommt jemand raus, und da springen noch drei Mann raus, dabei ist neben der
Bühne nur ein Quadratmeter Platz, auf dem sich drei Leute drängen, ganz eng aneinander.
Aber wenn sie dann rauspringen, soll es so aussehen, als hätten sie 10 Meter Platz
gehabt. Die ganzen Kostüme müssen gemacht werden, die Perücken, die Schuhe müssen
bestellt werden. Und, und, und. Es ist ein ungeheurer Aufwand, der betrieben werden muss,
um so ne Revue auf die Beine zu stellen. Es ist gigantisch, wieviele Leute an so was
beteiligt sind.
Frage: Am Anfang hast du dir deine Nummern selber erarbeitet und die Kostüme einfach
irgendwo von der Stange gekauft?
In den Warenhäusern hat es damals diesen Glamour und Glimmer noch nicht so gegeben.
Wir haben unser Schneider gehabt, oder Kollegen, die geschneidert haben, denen habe ich
meine Ideen gesagt, und dann wurde das so gemacht, weil ich nicht schneidern kann, sonst
hätt ich es vielleicht selber gemacht. Als dann die Modebranche auch ein wenig auf
Glimmer und Glamour gemacht hat, und ich ja ne Figur habe, dass ich von der Stange kaufen
kann, habe ich auch in Warenhäusern ein paar witzige Sachen eingekauft und eventuell
etwas angepasst für die Bühne.
Perücken genauso. Aber in den ersten Jahren hatten wir sehr viele Echthaar-Perücken,
die gab es in den Warenhäusern noch nicht. Man musste die eindrehen, waschen, sie mussten
unter die Haube zwei Stunden. Und wenn du sie drei Tage getragen hast, war alles schon
wieder raus. Dann ging es wieder los. Du hast teilweise deinen halben Tag damit verbracht,
deine Haare wieder in Ordnung zu bringen, das war dein Beruf. Alles war sehr
arbeitsintensiv.
Irgendwann kamen Perückenhersteller drauf, dass sie auch Synthetik-Perücken mit
soviel Haaren produziert haben, dass sie auch als Showperücken verwendet werden können.
Da haben wir Glück gehabt, diese Perücken sind pflegeleichter. Sie sind zwar nicht so
lange haltbar, wie die andern, aber sie sind auch wesentlich billiger. Eine
Echthaar-Perücke kostete im Schnitt zwischen 1000 und 1500 DM. Das war sehr viel Geld,
heute kostet so ein synthetisches Ding 300 bis 400 Mark, und die hält auch. Du musst sie
nur waschen und wieder frisieren. Du musst sie nicht eindrehen. Du kannst sie wesentlich
länger tragen. Das war ne echte Arbeitserleichterung.
Frage: Du hast früher ganz lange Haare gehabt, hat das für die Bühnenwelt nicht
gereicht?
Nein, nein. Nee, das hat nicht gereicht. Mit Perücken hat man die grösseren
Möglichkeiten. Die kann man auf einen Kopf setzen, den schraubt man auf den Tisch, und
dann kann man sich die Frisuren so hin machen, wie man sie haben will, auch am Hinterkopf.
Die kannst du dann gleich aufsetzen. Bei den eigenen Haaren kommt man da nur schlecht hin,
du musst Verrenkungen machen oder Kollegen fragen.
Frage: Schminkst du dich selber?
Klar, das muss jeder selber machen. Das ist auch ne Talentsache, der eine hat das
Gespür dafür, der weiss, das kann ich machen. Der andere sieht auch nach zwanzig Jahren
verschmiert aus, wie wenn er gerade in einen Farbtopf gefallen wäre. Du lernst auch mit
den Kollegen, die helfen dir. Wenn du dich täglich schminken musst, fällt es mit der
Zeit automatisch leichter. Keiner kuckt so häufig in den Spiegel, wie wir
Travestie-Künstler das tun müssen. Wir schauen sicher nicht immer gerne in den Spiegel,
aber du musst einfach. Du lernst dein altes Gesicht sehr genau kennen, du weisst, wo
welche Falte ist, wo du zum Beispiel keinen Lidstrich machen darfst, weil einfach die
Farbe reinläuft. Dann gehst du einfach über diese Stelle weg. Du weisst, du hast weniger
Wangenknochen. Oder du weisst, da musst du dunkel schminken, da heller, weil du diese
Stelle hervorheben willst. Und so kannst du ein vollkommen neues Gesicht auf dein altes
Gesicht malen. Und das ist der Sinn der Sache. Wir grundieren ja zuerst, so dass das
Gesicht eigentlich neutral ist. Und dann malen wir unser neues Gesicht, das wir am Abend
haben, nachher drauf.
Frage: Wie lange dauert das?
Als ich angefangen habe, hat das gute zwei Stunden gedauert. Mittlerweile kriege ich
allein das Schminken, wenn ich keine Zeit habe, in 35 Minuten hin. Das ist das absolute
Minimum. Das heisst aber, es sind noch keine Strümpfe dabei, ich hab noch keine Perücke
aufgesetzt, keine Fingernägel aufgeklebt. Und, und, und. Wenn du nicht hetzen willst,
brauchst du für alles eine Stunde, soviel brauch ich heute. Die Rückverwandlung dauert
dann etwa fünf Minuten. Das Abschminken dauert, wenn ich jemanden draussen warten habe,
eine Minute. Wir haben so l, und du wischst das alles weg. Es ist wie beim Kochen,
du stehst fünf Stunden in der Küche und in dreissig Minuten ist alles aufgegessen.
Früher musste ich immer zunächst die Nilonstrümpfe und die Schuhe anziehn, vor dem
Schminken, weil ich sonst gedacht habe, ich krieg diesen femininen Touch oben nicht hin.
Das ist natürlich albern. Mittlerweile kann ich es auch in Jeans tun.
Frage: Bist du früher blöd angeschaut worden, wenn du dir Nilonstrümpfe gekauft
hast?
Heute ist es nicht mehr so, weil viele Männer von ihren Frauen geschickt werden,
Nilonstrümpfe zu kaufen, da regt sich niemand mehr auf. Bei den Kleidern hat man früher
Aufsehn erregt. Wenn man in der Damen Oberbekleidungsabteilung aus der Kabine rausgekommen
ist, stand die ganze Abteilung da, die ganzen Verkäuferinnen haben geschaut. Wenn du mit
ihnen geredet hast, wissen Sie, ich mach Travestie-Show, dann plötzlich kippte das Ganze,
dann waren sie interessiert. Viele Verkäuferinnen wurden so zu Stammbesucherinnen. Wir
haben ein herzliches Verhältnis gefunden. Nur im ersten Moment waren sie vielleicht
seltsam berührt.
Frage: Warum fasziniert Travestie gerade Frauen?
Ja, in den Warenhäusern sind sie richtiggehend zusammengelaufen, sie sind nicht
weggelaufen. Die meisten Männer hätten sich weggewendet, wären vielleicht pikiert auf
die Seite getreten. Frauen haben diese Schwellenangst nicht, die kucken, die lassen diese
natürliche Neugier zu, die im Menschen steckt. Die wollen einfach wissen, wieso, weshalb,
warum. Der Mann hat da immer Probleme. Frauen haben sich nicht diese Tabus auferlegt, die
sich Männer auferlegen.
Frage: Frauen haben da mehr Möglichkeiten?
Die sind lockerer.
Frage: Du hast ein gutes Verhältnis zu Frauen?
Ja, oftmals ist es fast besser als zu Männern. Ich hab auch Männerfreundschaften,
Freundschaften mit Männer, die sind entweder verheiratet oder leben mit ihrer Freundin
zusammen. Aber das sind so Einzelfälle. Im Umgang komme ich mit Frauen eher besser
zurecht. Ich hab aber im allgemeinen keine Probleme mit Menschen. Im Vordergrund stand
für mich immer der Mensch, nie das Geschlecht. Wenn ich jemanden mag, dann mag ich den,
und dann ist mir egal, was das ist. Ob das ne Frau ist, oder ein Mann, oder was für
Varianten es eben sonst noch so gibt. Ich muss den Menschen mögen, und wenn jemand ne
Ausstrahlung hat, dann ist mir das Geschlecht vollkommen egal.
Frage: Bist du eine bessere Frau, als Mann?
Nicht besser, die "Schönste Frau der Welt", wie es in der Werbung für die
neue Show im Polygon heisst, das ist mehr ein Gag. Da hätt ich vor zwanzig Jahren
anfangen müssen, um die schönste oder die beste Frau der Welt zu werden. Aber es ist
natürlich lustig zu vergleichen: Was hat France Delon, was Claudia Schiffer nicht hat? Es
ist ironisch gemeint, Schönheit ist relativ. Wenn mich jemand sehr mag, bin ich für den
die schönste Frau der Welt. Andern muss ich nicht gefallen.
Frage: Was willst du bei deinem Publikum in der Vorstellung erreichen?
In erster Linie will ich die Menschen einfach mal unterhalten. Ich versuche, ihnen ein
bisschen Fröhlichkeit und Entspannung zu geben. Das heisst, dass sie einfach mal vom
Tagesstress abschalten und sich einfach mal gehen lassen können. Und auch mitmachen
können, das heisst, ich fordere sie schon auch auf, sich zu beteiligen, aber in einem
total lustigen und relaxten Rahmen. Das heisst, sie sollen nicht die Arme verschränken
und reinkommen, so, nun schau ich mal und lass mich einfach unterhalten. Sie können sich
mitbeteiligen, wenn sie wollen.
Ich helfe ihnen, einfach mal sich selbst zu sein und über das, was gemacht wird,
lachen zu können, ohne dass sie sich gleich fragen müssen, kann ich, darf ich da lachen.
Und obwohl es lustig sein soll, versuche ich auch immer, ein paar Denkanstösse zu geben,
die sie nach Hause nehmen können, dass sie zu Hause auch noch darüber nachdenken
können.
Ich finde es wichtig, dass die Leute später noch darüber sprechen. Weisst Du noch?
Dass einfach was hängen bleibt von dem, was ich den Menschen versucht habe zu vermitteln
oder zu geben. Ich möchte nicht, dass sie rausgehen, und sie haben's im nächsten Moment
schon vergessen. Wenn das der Fall ist, war die Arbeit wohl nicht so, wie ich mir's
vorgestellt habe. Sie sollen sagen, das muss nicht am selben Abend sein, Mensch, da war
noch was, dass ein bleibender Eindruck entsteht.
Frage: Du sprichst auch aktuelle Probleme an, du willst offenbar nicht einfach nur gute
Witze erzählen?
Nein, ich will auch ernste Themen ansprechen, ich verarbeite auch Tagesthemen. Das
versuch ich natürlich auf eine spielerische Art zu machen, wir sind eine Revue, das ist
kein Programm, wo man die Themen so ernst behandelt wie in einem politischen
Kabarettprogramm. Wir sind in erster Linie eine Revue, die unterhalten soll. Und viele
nehmen es dir auch übel, wenn du in der Unterhaltung zu weit drückst, dass es zu ernst
wird, dass es nicht mehr unterhaltend ist. Es soll locker und leicht scheinen, doch durch
den Anstoss sollen die Leute die Möglichkeit bekommen, sich selber mit gewissen Dingen
auseinanderzusetzen. Draufkommen müssen sie selber, ich will mit ihnen ja nicht
diskutieren. Nur wenn jeder selber was macht, kann auch was passieren.
Frage: Das hat offenbar nebenbei auch einen therapeutischen Aspekt?
Jaah, aber du musst sehr vorsichtig sein mit dem, was du machst. Es gibt auf einer
Showbühne, einer Revuebühne, Tabuthemen. Wenn du da zum Beispiel die Kirche behandelst,
dann musst du sehr vorsichtig mit den Gags umgehen, die du machst. Du musst sie so
bringen, dass niemand in seinem Glauben verletzt wird. Aber trotzdem kannst du auch Dinge
einbringen, die dir nicht passen. Zum Beispiel an der Kirche, oder dass du irgendwas vom
Papst erzählst. Nur, das ist immer ne Gratwanderung, du kannst in Sekunden nen ganzen
Saal verloren haben, wenn du eine falsche Äusserung machst.
Madonna ist das auch mal passiert, sie hat mal gesagt, sie liebt Kruzifixe, weil da
immer nen nackter Mann dranhängt. Womit sie natürlich recht gehabt hat, aber, nicht
jedem passt das. Man muss mit solchen Äusserungen sehr vorsichtig sein.
Politik ist eigentlich ein ganz gutes Thema, da braucht man nicht soviel Angst zu
haben. Da musst du einfach aktuell und gut sein, das heisst, du musst ein fundiertes
Grundwissen haben. Es gibt im Publikum immer intelligente, schnelle Leute, da kann was
zurückkommen, darauf musst du vorbereitet sein.
Du musst dir über deine Themen sicher sein, genau wissen, wovon du sprichst, sonst
bist du auf der Bühne vollkommen aufgeschmissen. Wenn die Leute merken, da ist etwas
nicht vorhanden, dann packen sie dich. Dann ist es keine Show mehr, dann sackst du einfach
weg. Dann stehst du - so ungefähr - ohne Hosen oder Rock da, dann zieht dich das Publikum
aus.
Frage: Was wären weitere Tabuthemen, die du wenn immer möglich meidest?
Also, ich meide eigentlich gar nichts, ich bin sehr frech. Ich mache einen Balanceakt.
Vom Papst bis Madonna behandle ich alles. Klatsch über Hollywood bis hin zur Kirche,
wobei Kirche ist so ziemlich das Endthema, das Haupttabuthema. Wenn man von der Kirche in
die Religion, in den persönlichen Glauben, rutscht, wird es gefährlich. Aber ich hab,
wenn ich in der Schweiz gearbeitet hab, auch schon über den umstrittenen Bischof Haas
gesprochen. Man darf niemanden beleidigen, du kannst Sachen angreifen und provozieren, du
musst aber einfach immer korrekt bleiben, damit du niemanden beleidigst. Eine Beleidigung
ist ein persönlicher Angriff, das nehmen dir die Leute auch sofort übel. Provozieren
geht aber auf jeden Fall.
Mit Sexualität haben die Leute auch Probleme, mit sexuellen Zweideutigkeiten, da musst
du ebenfalls aufpassen, ich mach das zwar auch, aber es darf nicht unterste Schublade
sein. Wenn du ihre Sexualität miteinbeziehst, indem du ihnen einfach nen Spiegel
vorhältst, musst du sehr vorsichtig mit den Sachen umgehen, die du bringst. Das hab ich
einfach im Laufe der Jahre gelernt, und bis heute hat es eigentlich ganz gut funktioniert.
Frage: Ist die Lust an der Provokation dein Hauptmotiv, um auf die Bühne zu treten?
Ja, ich mein, die Leute wollen aus dieser Normalität herausgelockt werden. Jeder macht
das und das, über Jahre hin und kommt nie aus sich raus. Es steckt soviel mehr in manchen
Menschen, aber die trauen sich dann nicht. Es ist gut, wenn sie einfach mal jemand so
provoziert, dass sie ne Reaktion zeigen. Dass sie sich sagen, so jetzt ist Schluss, jetzt
steig ich aus. Wenn ich jemanden so provozieren kann, dass er aus seinem Schlaf
herausgerissen wird, ist das nicht schlecht, ich find es gut. Bevor die da alle pennen und
in den Tod hineinschlafen.
Frage: Der Tod ist das Gegenteil vom Leben...
Ja, es gibt ja soviele lebende Tote. Das ist doch furchtbar, wenn wir dann einmal tot
sind, sind wir sowieso tot, und dann haben wir genügend Zeit zum Schlafen, das sag ich
immer wieder. Aber doch nicht im Wachsein, im Leben selbst. Es laufen doch soviele rum, wo
man sich fragt, warum sind die eigentlich da. Gut, ich meine, das muss jeder selbst
entscheiden. Wenn es mir gelingt, jemanden aus der Normalität nen Moment rauszuholen und
den Horizont zu erweitern, dann freut mich das.
Frage: Bist du ein sprechender Eintänzer?
öh, ja, ungefähr. Also ich möchte einfach neue Gesichtspunkte geben. Ich bin
ja mit 16 raus und hab in all den Jahren wahnsinnig viel gesehen, und viel Lebenserfahrung
gewinnen können durch meinen Job. Ich bin um die ganze Welt gejettet und war in den
schlimmsten Lokalen hier, da und dort. Ich versuche auch, einen Teil dieser Erfahrung
weiterzugeben. Viele Leute leben zwanzig dreissig Jahre in einer Stadt, und die sehen gar
nicht, was vorgeht. Ich selber hab in Köln gelebt und musste immer zur Bank, aus dem
Hotel heraus, und dazwischen war der Kölner Dom. Ich bin einfach um den Kölner Dom
herumgelaufen. Der war nur ne Behinderung für mich, ne Mauer. Ich bin immer schnell um
diesen Dom rum, weil ich zur Bank musste.
Nun bin ich seit Jahren weg von Köln, und komme mal zurück und steig am Bahnhof aus.
Ich stehe fasziniert vor diesem Hauptportal. Ich kuck nach oben, bis diese Domspitzen
enden. Kuck mir die Steine an. Und denke mir, wie lange der schon steht, was dieses
Bauwerk schon alles gesehen hat. Was sich hier auf diesem Platz schon alles abgespielt
hat.
Dieses Bewusstsein war vorher nicht vorhanden, ich hatte meinen Alltagstrott, bin um
die Kurve und hab nur diese Mauer gesehen, die mich behindert hat, weil, ich wäre
schneller auf der anderen Seite gewesen, wenn der Platz frei gewesen wäre. Und ich habe
viele Sachen erst später begriffen, wie wichtig gewisse Sachen im Leben sind.
Den Leuten zu sagen, so, jetzt kuckt mal in eurer eigenen Stadt. Ich höre es immer
wieder, wenn ich in neue Städte komme, ich arbeite in so vielen Städten, jeder, der dort
lebt, entschuldigt sich bei mir für die Leute, die dort leben. Also, wenn ich irgendwo
auf eine Bühne gehe, und ich treffe die Einheimischen, die dort leben vor der Show: Du,
du musst dir nichts draus machen, die Leute hier sind sehr stur, wenn einer nicht
klatscht, du, die Menschen sind so hier. Jeder sagt mir das in seiner eigenen Stadt, im
ganzen Land, überall nur sture und doofe Menschen. Ist doch Quatsch. Da möcht ich den
Leuten sagen, so ist es nicht.
Frage: Eine Show ist etwas sehr Flüchtiges. Man muss alles immer wieder neu erzeugen,
wenn man eine Schallplatte produziert, dann ist die da, vorhanden, auf alle Ewigkeit. Ist
diese Flüchtigkeit deiner Kunst tragisch? Eine Show findet statt, oder sie findet nicht
statt.
Das macht meinen Job aus. Deswegen mach ich das. Es ist jeden Tag neu, jede Sekunde
eigentlich. Wenn du zwei Shows am Abend hast, gibt es keine Garantie dafür, dass die
zweite Show genauso gut wird wie die erste. Und umgekehrt: Die erste ist nicht so gut und
plötzlich gibt's da ne Euphorie in der zweiten. Ich arbeite mit dem "Material
Mensch". Die Leute kann man bis zu einem gewissen Punkt manipulieren, aber irgendwann
sind sie unberechenbar. Und das ist das Schöne, du weisst nie, was kommt.
Wir machen auch CDs, die kann man sich später immer mal wieder anhören. Aber es gibt
eben auch Abende, wenn du sensationell gut drauf bist. Die Leute, die an dem Abend da
sind, die mitbeteiligt sind, die das gesehen haben, da gibt es einige, die diesen Abend
ihr Leben lang nie vergessen werden. Da brauchen sie dann keine Schallplatte, das bleibt
einfach in den Köpfen und Herzen. Und wenn das nur wenige sind, dann sind das nur wenige.
Ich arbeite jeden Abend mit derselben Härte. Aber es gibt einen alten Theaterspruch:
"Auf der Bühne gerecht machen ein jedermann, ist eine Kunst, die niemand kann."
Und das möcht ich auch nicht. Ich gebe immer hundert Prozent, volle Leistung - oder gar
nichts. Und wenn ich merke, das geht nicht mehr, werd ich die Bühne auf jeden Fall
verlassen.
Frage: Das erinnert an einen Seiltänzer, der jeden Tag rüber muss, nicht anders kann.
Hast du keine Angst vor dem Absturz?
Oh ja. Das ist gerade das, was man nicht nachvollziehen kann. Diese Hormone, die
freigesetzt werden im Körper, dieser Adrenalinstoss, wenn du weisst, da sitzen jetzt so
und soviele Leute, und du musst raus. Keiner kann sich vorstellen, wie alleine du bist, in
dem Moment. Obwohl mit dir vielleicht noch 1000 Leute in der Halle sind. Ganz alleine, du
stehst da vorne, ganz alleine, und alle wollen was von dir, kucken auf dich. Da kann dir
kein Mensch helfen. Wenn du dann spürst, da kommt was zurück, die Leute klatschen und
rasen und toben, weil du ihnen was geben konntest, das kann man nicht erklären, es
passiert. Das fliesst im Körper runter wie eine Droge, ich bin dann Natur-stoned.
Ich gehe vollkommen nüchtern und klar auf die Bühne, ich hab mein Leben lang nie
etwas gebraucht. Ich hab zwar auch schon besoffen gearbeitet, aber ich hab so was nie
gebraucht, um mich zu stimmulieren. Ich war nüchtern immer am verrücktesten. Das, was
das Publikum dir dann geben kann, das ist wie eine Droge. Nicht ganz ungefährlich,
verschiedene brauchen diese Zuneigung, diese Gunstbezeugung, den Applaus dann immer mehr
und verpassen den Moment, wenn sie abtreten sollten.
Frage: Hat das nicht auch etwas Süchtiges?
Aber ja, alles im Leben ist eine Sucht. Ob du jetzt Musik hörst, ein anderer geht
wandern, muss zwanzig Kilometer wandern, sonst ist er nicht zufrieden. Die eine Sucht ist
so wahnsinnig gefährlich, die andere ist weniger gefährlich. Es gibt positive und
negative Süchte. Die Sucht, auf die Bühne zu treten, hat vielleicht auch damit zu tun,
dass du dort bekommst, was du im Privatleben nicht hast. Da kann ich dann sagen, O.K., ich
bin im Privatleben ruhiger. Wenn es auf der Bühne auch nicht mehr stattfindet, wird es
gefährlich, dann gibt es diese ganz extremen Selbstmordraten. Privat klappt es nicht und
beruflich auch nicht mehr so ganz, dann gibt es diese extremen Abstürze.
Frage: Bist du gerne allein?
Nee, eigentlich nicht. Aber ich hab gemerkt, in den letzten Jahren hab ich mich immer
mehr zurückgezogen. Es macht mir nichts aus, mal allein zu sein. Aber ich bin von der
Grundstruktur her nicht gern allein. Gar nicht. Nur hat sich das im Lauf der Jahre
ergeben, du wirst teilweise auch berufsbedingt gezwungen, allein zu sein.
Frage: Ist das eine Art von Selbstschutz auch? Angst vor Verletzungen?
Ja, auch. Teilweise, würde ich sagen. Gelebtes Leben eben und durch das, was passiert
ist... Und du kapselst dich natürlich immer mehr ab. Das ist auch so ein Effekt, der
nicht gut ist. Du weisst es, und du tust es trotzdem. In der Branche ist es auch so, je
bekannter du wirst, je mehr Leute dazukommen, die dich sehen, desto weiter wirst du
eigentlich zurückgedrängt. Und ziehst dich auch selber zurück. Du wirst immer mehr
isoliert, je bekannter du wirst.
Frage: Dann dominiert plötzlich France Delon und Frank Conrady wird immer kleiner?
Ja, richtig. Die Figur wird immer grösser, immer grösser, immer bekannter, und dein
Privatleben verkleinert sich dadurch. Die Leute, die dich dann neu kennen lernen, meinen,
sie kennen dich, sie wollen aber France Delon. Je häufiger das passiert, da sagst du dir,
ja, wieder einer mehr, der eigentlich nur diese Kunstfigur wollte. Die ist zwar auch ein
Teil von dir, ist ja ganz klar, aber eben nur ein Teil. Du willst aber als Privatmensch
irgendwie anerkannt, akzeptiert werden, so, wie du bist. Und das wollen die meisten
anderen aber nicht. Wenn sie sehen, du bist auch ein ganz normaler Mensch, ist es ihnen zu
wenig. Weil, sie wollen mehr diesen Puff- und Showeffekt. Wenn sie merken, dass ich nicht
so lustig bin und nicht so gut drauf bin den ganzen Tag, wie wenn ich auf der Bühne
stehe, dann sind sie weg.
Frage: Sie wollen eine Scheinperson? Ein Kunstprodukt? Eine Projektionsfolie?
Ja. Da kannst du halt nur Glück haben, dass du vielleicht vorher schon einige Freunde
hattest, die schon immer da waren, die diesen ganzen Werdegang mitverfolgt haben. Die
immer bei dir geblieben sind. Die auch heute noch da sind. Da kannst du dann so sein, wie
du möchtest. Du musst einfach vorsichtig sein, wenn du neue Leute kennenlernst. Teilweise
ist es auch so, dass du wahnsinnig interessante Leute kennenlernen könntest, aber du tust
es nicht mehr, du blockst ab.
Wenn sie dran bleiben, O.K., dann kann es da auch neue und gute Freundschaften geben,
doch ich selber bleibe lange zurückhaltend.
Der Hauptteil der Leute kleckert einfach. Sie streifen dich an der Peripherie, und dann
sind sie wieder verschwunden. Was bleibt, ist eigentlich gering. Da muss man sich damit
auseinandersetzen, wir alle müssen lernen, allein zu leben, weil jeder lebt eigentlich
für sich allein. Aber es ist natürlich schon schöner, wenn du mit Leuten viel teilen
kannst, was du gerne hast, und was die gerne haben. Aber, es ist nicht immer möglich.
Frage: Du hast mir einmal gesagt, du machst immer das, wovor du Angst hast. Kannst du
das ein wenig erklären?
Ja, ich bin eigentlich ein sehr ängstlicher Mensch. Total, das kommt wahrscheinlich
auch von der Vererbung her, weil ich als Kind schon sehr lange im Mutterleib war, zehn
Monate, einen Monat zuviel. Entweder wollt ich nicht raus, oder ich konnte nicht, wie auch
immer. Heute gibt's das gar nicht mehr, heute wirst du geholt, heute werden die Geburten
eingeleitet, aber damals noch nicht.
Meine Eltern, durch die Kriegszeit, waren auch immer ein bisschen ängstlich. Meine
Mutter sass auf mir wie so ne Glucke, das letzte Kind, das einzige Kind dieser Ehe und
dann noch ein Junge. Meine Eltern haben mich extrem behütet. Pass auf, sei vorsichtig,
nicht, dass dir was passiert. Ich bin auch heute noch vorsichtig, aber ich sage mir eben
auch, ich muss da durch. Ich weiss genau, ich hab vor diesem und jenem Angst, aber ich
mach das dann. Ich mach's trotzdem.
Und da steig dieser Pegel des Hormonspiegels natürlich extrem, aber wenn ich mich dazu
bereit erkläre und sage, ich mach das, dann zieh ich es auch durch. Auch wenn ich noch so
viel Angst habe. Auch ohne Rücksicht auf Verluste, was eventuell passieren könnte. Ich
kuck dummerweise bei vielen Sachen kilometerweit voraus. Ich durchdenke, warum ich jetzt
Angst habe, wie bei Schach, aber diesen Endzug weiss ich doch nicht. Egal, schachmatt, du
machst was. Ich zieh es durch.
Frage: Du gehst durchs Feuer?
Ja, genau. So ist es auch auf der Bühne, weil, ich weiss nie, was passiert. Jetzt
auch, bei jeder neuen Revue, ja, kommt sie gut raus, kommt sie nicht gut raus? Das weisst
du ja vorher nie. Und du weisst auch nie, wie du mit den Sachen, die auf dich zukommen,
umgehst. Sprich, schlechte Kritiken, man greift dich an, in welcher Form auch immer. Wenn
ich einmal Ja gesagt hab, dann mach ich das auch. Immer bis zum Endpunkt.
Frage: Bist du am Ende einer Vorstellung in der Euphorie von einem, der durchs Feuer
gegangen ist, der überlebt hat?
Die Leute können sich diesen Kraftaufwand nicht vorstellen. O.K., ich arbeite ja nicht
auf dem Bau und muss zwanzig Zentner Zement in die sechste Etage schleppen. Das ist
sicherlich ein körperlicher Kraftaufwand, aber die Leute können sich nicht vorstellen,
wieviel Kraft, wieviel hohe Konzentration, vom Geist und vom Körper her, du für eine
zweistündige Revue brauchst. Und du bist einfach danach total erschöpft. Einfach fertig.
Aber dann ist es so, es kommt drauf an, war der Abend toll, dann kippt, das, du bist
fertig, aber angenehm, schön erschöpft. Und das ist ein grossartiges Gefühl.
War der Abend aber nicht so, dann kommen auch in dir diese depressiven
Aggressionszustände raus, das heisst, du warst mit dir nicht zufrieden oder mit der
Reaktion des Publikums. Dann bist du noch mehr kaputt. Woran lag es? Was solltest du
anders machen? Diese Fragen verfolgen dich dann, lassen dich gar nicht mehr in Ruhe.
Klar, du hast auch ne Tagesform, du kannst nicht immer gut sein. Das hängt auch davon
ab, was tagsüber passiert ist, ob jemand im Krankenhaus gelandet ist, oder ob jemand
gestorben ist, den du magst. Oder du hast dich privat von jemandem getrennt. Oder du hast
irgendwelche kleinere Verletzungen, die du überspielen kannst, das interessiert
niemanden, die Show muss trotzdem weiter laufen.
Da braucht man eine irrsinnige Konzentration und eiserne Disziplin, sonst hält man das
auf Jahre nicht durch. Also jedenfalls nicht ohne Hilfsmittel, da kommen diese Kollegen,
die ne halbe Flasche Whisky brauchen, um ruhig zu werden, bevor sie auf die Bühne gehen.
Aber dabei bleibt es eben nicht, da steigert sich dann diese halbe bald auf eine ganze
Flasche. Diese Nervosität mit dem Körper abzufangen, ist wahnsinnig schwierig. Bis heute
ging's bei mir - zum Glück - immer ohne.
Frage: Aber du verstehst solche Figuren wie Michael Jackson, die auf Beruhigungsmittel
abfahren?
Absolut. Das sind ja Dimensionen, ich kann das nur aus meiner Sicht, aus relativ
kleinen Dimensionen, schildern. Aber wenn du nicht einmal mehr allein auf die Toilette
gehen kannst, ohne dass dir jemand Toilettenpapier reinreicht. Diese Erwartungshaltung der
Massen, du gehst in ein Stadion mit 60000 oder 80000 Leuten rein, eine Masse die du
bewegst. Das erzeugt einen ungeheuren Druck, und das ist eine Belastung, da versagt einem
schon auch mal die Stimme. Plötzlich kannst du nicht mehr singen, du bringst nichts mehr
raus, du verstummst.
Frage: Was ist das wichtigste Ereignis in deinem Leben?
Die Geburt natürlich, sonst hätten wir uns nicht so lange unterhalten können. Das
wichtigste Ereignis in meinem Leben? Es gibt schöne und nicht so schöne Ereignisse,
dasjenige, das mein Leben am meisten verändert hat, war der Tod von einem Freund von mir.
Und das hat mich eigentlich die letzten sechs Jahre sehr geprägt. Vorher hab ich anders
gelebt. Ich hab viele Dinge anders wahrgenommen, meine Wahrnehmung war ganz anders, ich
hab viele Dinge einfach lockerer oder gar nicht gesehen. Ich hab meinen Horizont auch
selber eingeengt oder zumindest nicht erweitert. Ich hab einfach mehr dahin gelebt. Und
durch den Tod von Poul hab ich mich klar damit auseinandersetzen müssen.
Das war für mich überhaupt das erste Mal, dass ich mich extrem und ernsthaft mit dem
Tod konfrontiert sah. Das dauert bis heute eigentlich an, diese Auseinandersetzung. Nur
bin ich heute einfach so weit, dass ich mir in vielem viel klarer bin. Ich nehme jeden
Tag, der kommt, ich lebe, ich sehe intensiver, ich geniesse intensiver. Ich freue mich
heute an einem Zweig, der im Frühling Knospen hat, und, und, und.
Früher bin ich an vielen Sachen vorbeigegangen und hab sie nicht gesehn. Heute kann
ich sie sehn. Das Wetter stört mich überhaupt nicht mehr, früher hab ich mich dauernd
darüber beschwert. Ich nehm es heute, wie es ist, es ist einfach so, das ist Natur. Ich
seh die Natur auch viel bewusster. Der Grundstock meines Glaubens kommt aus der Natur
heraus.
Ja, dieser Tod hat mich einfach dazu geführt, bewusst und extrem aufzuwachen. Er hat
mich dazu gebracht, über die Dinge, mein eigenes Leben auch, intensiver nachzudenken. Ich
hab also fast drei Jahre gebraucht, um das alles mal so zu verarbeiten.
Frage: War das der Schock über die eigene Sterblichkeit? Die Konfrontation mit der
Tatsache, dass auch du eines Tages sterben wirst?
Ja, auch. Eben, jemanden zu verlieren, wo man sich im Grunde genommen gar nicht klar
darüber war, was dieser Mensch eigentlich für einen bedeutet hat. Das hab ich erst
gemerkt, als es zu spät war. Und vielleicht auch solche Sachen wie "hätte ich
doch", "hätte ich doch". Und dann muss man das verarbeiten.
Und dann eben auch die eigene Endlichkeit, das man sagt, ja, du bist genauso, es kann
dir genauso gehen. Und, also, lebe doch einfach bewusster. Jetzt ist der Punkt gekommen,
ich hab für mich persönlich ein erfülltes und schönes Leben gehabt, mehr kann man
nicht draus machen, mehr hat einfach die Natur nicht zugelassen. Diese ganzen Gedanken...
Ich hab das auch aufgeschrieben. Ich führe kein Tagebuch, aber ich hab eine Agenda, in
der ich so Sprechblasen mache. Meine Grundgedanken in Kurzform reinschreibe. Und ich hab
einfach angefangen, ganz bewusst, nachdem Poul dann gestorben ist, das alles
niederzuschreiben.
Und heute enthält diese Agenda manchmal über Wochen leere Blätter, und dann gibt es
aber auch Zeiten, da ist die Agenda seitenlang vollgeschrieben. Weil, ich habe immer das
Gefühl, wenn mich etwas extrem belastet, dann muss ich das einfach irgendwo
niederschreiben, weil, ich hab nicht immer unbedingt jemanden, dem ich das erzählen kann,
das möcht ich auch nicht immer, und es befreit mich. Ich brauch das nach dieser Zeit
einfach, und das ist bis heute auch so geblieben.
Ich hab so ne Zeitrechnung, bei mir gibt es eine Zeit vor und eine Zeit nach Poul. Das
sind menschliche Sachen. Für mich war das einfach das einschneidenste Erlebnis in meinem
Leben, was ich da miterlebt habe, sprich, Krankenhaus oder davor, später die Beerdigung,
das hat mich einfach total aufgeweckt.
Und ich hab nach dem Tod von Poul persönlich und mit meinen Gefühlen vollkommen zu
gemacht, also, ich hab niemanden mehr an mich persönlich herangelassen, ich habe
niemanden mehr reingelassen.
Und dann hat es so ne Geschichte gegeben, in der Schweiz jetzt, da hat es einfach Peng
gemacht. Und ich hab das erste Mal nach über drei Jahren, hab ich aufgemacht und bin, ja,
extrem tief gefallen. Um nicht zu sagen, noch tiefer. Aber das ist jetzt auch schon wieder
fast ein Jahr her. Das war jetzt, ja, mehr als ein Jahr, wo es mir extrem schlecht ging.
Das war meine schlimmste Zeit nach dieser Geschichte mit Poul.
Aber ich hab auch das verarbeitet, das gepackt, und ich sag mir einfach, das Leben muss
weitergehen. Diese ganze Kraft, die ich heute habe, ziehe ich aus dieser geistigen
Beziehung mit Poul. Und auch Empfindungen oder Gefühle rühren einfach daher. Wenn ich im
Studio zum Beispiel Emotionen erzeugen muss, oder ich muss ein Lied singen auf Power, und
im nächsten Moment muss ich ein Lied singen, das extrem nach unten geht, wo Gefühl
gefordert ist. Und du musst als Künstler ja auch mit deinen Gefühlen haushalten. Ich geh
in Gedanken einfach zu Poul zurück, und da hole ich meine Ruhe her, die Kraft, die Power.
Das mach ich eigentlich die ganzen Jahre. Ja, ich fühl mich besser dabei, ich fühl mich
menschlich wohler.
Frage: Wie lange hast du Poul gekannt?
Gekannt habe ich ihn zwölf Jahre. Ich hab ihn kennengelernt, da kam er als ganz junger
Boy aus Kopenhagen, er war also halb Amerikaner, halb Däne, er kam nach Hamburg. Ja, er
hat sich total verliebt in mich. Und es ging nicht, ich konnt ihm das nicht geben, warum,
weiss ich eben gar nicht. Das ging über Jahre so, wir haben uns also wahnsinnig gern
gehabt, aber ich bin nie eine Beziehung mit ihm eingegangen. Und er wollte immer. Und
irgendwann ist das auch zur Normalität geworden, wir sind Freunde, aber mehr ging nicht,
ich hab einfach gesperrt, und ich hatte keine Ahnung, warum.
Dann irgendwann einmal, vielleicht nach sieben Jahren, ich hab ihm auf der Bühne
geholfen, er war ja wesentlich jünger, vielleicht weil ich so ne Vaterfigur war, wollte
ich einfach nichts Intimes mit ihm haben. Und irgendwann bin ich mal in Hamburg gewesen,
ich war dort engagiert, und er war auf der Durchreise nach München, und kam rein, steht
im Eingang, wollte eigentlich nach hinten zu uns durchkommen, und in dem Moment hat es
mich wie ein Schlag getroffen, ich kann nicht erklären, warum, wieso, weshalb. Und in dem
Moment wusste ich, es ist irgendwas passiert, was auch immer. Von diesem Zeitpunkt an,
noch in dieser Nacht, sind wir dann auch zusammen schlafen gegangen, und, und, und. Und da
hat sich das dann, durch diesen körperlichen Kontakt, wie er ihn immer gesucht hat, eine
Befreiung ergeben, vielleicht auch dadurch, dass er älter geworden war.
Und dann war das so intensiv über einen Zeitraum und auch so toll, aber wir sind keine
Beziehung eingegangen. Er war einfach immer so etwas ganz Besonderes. Meine Mutter hat mir
mal gesagt, ich hätte eigentlich noch einen Bruder gehabt, der ist kurz vor der Geburt
gestorben, vielleicht wollte ich jemanden beschützen, so eine Art kleiner Bruder.
Poul ging dann immer wieder weg, war auch in Amerika. Und irgendwann kam er mal zurück
und hat gesagt, er hat nen Aidstest machen lassen. Das war damals noch in der
Anfangsphase, als man noch nicht so genau darüber Bescheid wusste.
Und dann hat sich das noch fünf Jahre hingezogen, bis er gestorben ist. Die hab ich
einfach mitdurchlebt, er wurde dann dummerweise noch von einem Hund gebissen. Er ist
nachts ausgegangen und hat sich gebückt, und ein Hund hat ihm dann noch die Nase
weggerissen. Er musste anschliessend operiert werden und ist dann nach Amerika und hat
drei Schönheitsoperationen gemacht, um die Nase wieder einigermassen hin zu kriegen. Und,
und, und.
In diesen Jahren sind einfach soviele Sachen passiert, die einen immer mehr aneinander
geschweisst haben. Du wusstest ja auch, irgendwann ist es jetzt dann mal erreicht, weil,
es wird höchstwahrscheinlich nicht weitergehen. Und das wollt ich nicht so richtig
wahrhaben, bis dann mal der Moment kam, wo der Körper zugemacht hat bei ihm, und der
ganze körperlich Zerfall eintrat. Und ihm war das natürlich auch äusserst unangenehm,
weil er wollte nicht, dass ich das mitansehe. Und, ja, aber ich bin dann doch noch, obwohl
er mir gesagt hat, vielleicht besser nicht, in der Schlussphase nach Kopenhagen gefahren.
Und das war für mich, ich kannte so was nicht, der Schock war so gross in dem Moment,
dass ich das gar nicht verarbeiten konnte. Ich habe einfach niemanden mehr gesehen, ausser
Haut und Knochen, zum Schluss. Und das kannte ich in der Form nicht. Nicht bei einer
Person, die mir derart nahe stand.
Ich hab dieses Bild zwangsläufig verdrängt und weit weg geschoben. Es kommt ab und zu
in manchen Situationen zurück. Darum hab ich auch immer ein Bild von ihm bei mir, wo
immer ich auftrete, sein Bild kommt mit, das ihn so zeigt, wie er vorher war. Und, ja, ich
geh auch heute damit so geistig um. Ich spreche auch mit dem Bild, einfach geistig. Ich
weiss, er ist nicht mehr da, er kommt auch nicht wieder zurück in dieser Form, aber ich
ziehe trotz allem aus seiner Person die ganze Kraft, die ich heute einfach brauche, wo ich
persönlich, ich alleine, nicht mehr die Kraft hätte.
Ich weiss, ich sage mir, ich mach das jetzt für ihn, weil, ich weiss genau, er hätte
gesagt, du gehst jetzt noch einen Schritt weiter, er war sehr kraftvoll. In seiner Art,
seiner Lebensweise und auch vom Feeling her. Total positiv eingestellt, ein richtiges
Kraftpaket. Und das pusht mich heute auch immer wieder, wenn ich schon stehen geblieben
bin, weil da eine Mauer ist, und dann geh ich durch.
Er hat auch im Travestiegeschäft gearbeitet, hat auch gerne gesungen, getanzt und
Travestie gemacht, war dann auch ganz populär, sehr bekannt in Dänemark. Als er
gestorben ist, haben auch die Zeitungen darüber geschrieben. Obwohl, er war sehr jung, er
ist mit 29 gestorben.
Ich war auf der Beerdigung in Kopenhagen und bin dann am selben Tag noch nach Hamburg
zurückgefahren und gleich weitergeflogen nach Nürnberg, weil ich am nächsten Tag zum
zehnjährigen Jubiläum des "Paradies-Kabaretts" in Nürnberg mit dreissig
andern Artisten auf einer Bühne stehen und dieses Jubiläum feiern musste. Und das war
schon die erste Herausforderung, ich meine, am Tag vorher die Beerdigung und dann auf
einer riesigen Bühne mit wahnsinnig viel geladenem Publikum, ja.
Ich war nie dieser Karrieremensch, ich hab eigentlich immer lieber ruhig gelebt. Ich
hab mir auch intensiv überlegt, als man mir die Möglichkeit gegeben hat, Hauptfigur in
einer eigenen Revue zu sein, willst du das überhaupt? Und ich wollt es eigentlich nicht,
zunächst, ich hab mir gesagt, das ist mir alles ein bisschen zuviel. Dann hab ich aber
doch gesagt, O.K., hab in der Nacht ganz ruhig überlegt, und gedacht, Poul hätte das
sicherlich auch gewollt. Natürlich, ich bin die Person, die es ausführt, aber in erster
Linie ist es mir wichtig, dass ich weitergehen kann, für ihn. Dass er das, was er
vorhatte, durch mich ausführen kann.
Frage: Warum arbeitest du mit Linsen, aus reiner Eitelkeit?
Nein, nein, die Kollegen haben mich eben öfters veräppelt, mich zu Gästen geschickt,
weil sie gesagt haben, die haben dir zugewinkt, die wollen eins mit dir trinken. Und ich
bin dann immer hin, worauf die gesagt haben: "Was wollen Sie denn hier?"
Irgendwann war ich in Augsburg engagiert, und das war ein Lokal, das war
terassenförmig gemacht, mit mehreren Stufen, und unten hatte es immer so ne kleine
Notbeleuchtung. Und da ich so schlecht gesehen hab, bin ich immer entweder ausgerutscht
und hab die Stufen voll erwischt, oder ich bin abgerutscht und bin im Gang gelegen. Die
Kollegen haben dann immer gesagt, ja, wo ist Frank denn wieder? Ja, der liegt gerade
wieder im Gang. Und ich hatte überall blaue Flecken, weil ich in diesen schmalen
Aufgängen überall angestossen bin. Da hab ich mir gesagt, so, Schluss, Ende, aus und hab
mir in Augsburg Linsen machen lassen.
Das war nachher merkwürdig für mich, weil ich die Leute auf der Bühne, die mich
direkt angeschaut haben, jetzt plötzlich auch gesehen habe. Das war eine Umgewöhnung von
der Art her. Ich bin dadurch am Anfang sogar ein wenig unsicher geworden. Das war eine
neue Art des Arbeitens, du konntest mit einer Person reden und die Reaktion direkt am
Gesicht ablesen. Vorher hab ich die Reaktion der Leute im Einzelnen nicht deutlich und
klar erkennen können. Und jetzt konnt ich von vornherein, auch in der zweiten Reihe, wenn
ich was gesagt habe, auch ne Reaktion erkennen. Ich bin der Meinung, es war von Vorteil.
Ich hätt natürlich auch mit Brille arbeiten können, aber dann hätten wieder alle
gerufen: Nana Mouskouri. Und das wollt ich auch nicht.
Frage: Sind deine Linsen gefärbt? Oder hast du wirklich solch unglaublich strahlend
blaue Augen?
Nein, die sind nicht gefärbt, ich hab blaue Augen, eine Mischung aus blau, grau,
grün. Auf der Bühne scheinen sie ganz hell, das kommt von der Beleuchtung, es kommt
drauf an, wie das Licht drauffällt. Ausserdem werden unsere Augen doppelt so gross durch
die Schminke, optisch, für den Betrachter. Die Augen sind bei der Schminke extrem
wichtig, mit ihnen spricht man direkt zum Publikum. Die Augenschminke nimmt bei der
Gesamtschminkzeit den grössten Platz ein. Wenn ich, sagen wir, dreissig Minuten schminke,
schminke ich im Minimum zwanzig Minuten nur an den Augen. Im Tagleben sind sie blau, grau,
grün. Sie waren früher ganz blau, aber im Lauf der Jahre haben sich meine Augen halt
auch verändert.