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Frage: Und du, du bist ja auch ein Mann, hast du damit keine Probleme?
Nee. Gar nicht. Nee. Ich hab immer alles ausprobiert, in jeder Form, mich damit
auseinandergesetzt, habe keine Probleme damit. Das ist der Unterschied, Travestie ist nicht Transsexualität, es
ist Verkleidung und hat nichts mit meiner Veranlagung zu tun. Ein Transsexueller möcht
Frau sein, fühlt sich in den falschen Körper eingesperrt. Das hab ich nie gedacht.
Ich habe alles ausprobiert, hab mit Frauen geschlafen, mit Männern, und das eine ist
mir im Laufe der Jahre einfach näher gekommen. Und diese Travestiegeschichte ist einfach
Verkleidung, ist mein Job. Finde es auch schön, aber ich lege das alles nach der Show ab.
In meinem privaten Bereich gehe ich nicht gerne in Frauenkleidern aus, es sei denn, meine
Freunde haben gesagt, du, heute machen wer ne Sause, da gehn wir alle im Fummel aus. Ich
habe mich nach der Show immer abgeschminkt, um mein privates Leben zu führen.
Frage: France Delon ist ein Kunstprodukt, für die Bühne, die hat mit dir privat
nichts zu tun?
Genau. Travestie ist für mich persönlich lustig, aber ich will sie privat nicht
betreiben. Ich stehe nicht auf am morgen, rasiere und schminke mich und gehe als Frau auf
den Markt oder zum Bäcker, ich bin kein Transexueller.
Frage: Du hast gesagt, der als Frau verkleidete Mann kann auf der Bühne viel frecher
sein, kannst du dafür ein Beispiel geben?
Als Travestie kannst du auf der Bühne Zweideutigkeiten von dir geben, die du im Anzug,
als Mann, nicht könntest. Die Leute würden sagen, so was kann Mann doch gar nicht
erzählen, was der da erzählt. Bin ich aber geschminkt, hab ne Perücke auf, trag nen
Fummel, finden die Leute das lustig, weil eine ganz andere Optik dazukommt. Es ist sehr
schwer zu erklären, man spürt es auf der Bühne eben, wie weit man sich an Themen wagen
darf, die einem sonst übel genommen werden. Ich kann die Leute viel mehr provozieren, um
sie aufzuwecken. Ich versuche auf lustige Weise, Denkanstösse zu vermitteln.
Frage: Bist du eine Art Hofnarr? Der hob sich auch von allen anderen am Hof ab, schon
rein optisch, durch seine Verkleidung. Siehst du da Parallelen?
Auf jeden Fall. Er war nicht voll akzeptiert, man hat ihn sich gehalten, aber er war
überall mit dabei. Aber er war eben der Hofnarr. Er durfte alles sagen und auch
Ratschläge erteilen, aber er war kein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft. Man wird
als Travestie-Künstler auch hierhin und dorthin eingeladen, aber wenn die Leute dann
merken, dass du, entgegen ihrer Erwartung, auch intelligent sein kannst, dann wird es
schon wieder gefährlich. Man unterschätzt die Künstler in der Travestie. Das Ganze
gehört auf die Bühne, dort ist das akzeptiert, irgendwo anders aber nicht. Travestie
wird leider häufig noch immer mit sexuell oder dumm etikettiert.
Frage: Travestie ist in den letzten Jahren zu einer eigentlichen Modesache geworden,
ich denke da an den Erfolg von Dame Edna oder auch von Mary. Die Zuschauer kommen jetzt
plötzlich in Massen in Travestie-Shows. Ist das eine vorübergehende Erscheinung oder
bleibt das länger so?
Ich hoffe natürlich, dass es bleibt. Dass die Travestie ein Teil des grossen
Showkuchens bleibt. Der Reiz des Neuen könnte sich aber schon ein wenig verlieren. Da
muss man selber einfach gut sein. Wenn man gut ist, dann hält man sich auch in der Szene,
selbst wenn die Szene insgesamt bröckelt. Jeder muss kucken, wo er bleibt.
Frage: Du improvisierst ja sehr viel, hilft dir dabei die Tatsache, dass du verkleidet,
in Kostüm und Maske, als Frau auftrittst?
Am Anfang hat mir das sicher geholfen. Man kann viel lernen im Leben,
aber vieles stammt nicht aus Büchern. Es gibt Dinge, die hat man, oder man hat sie nicht.
Und, Toi, Toi, Toi, ich hab da Glück gehabt und hab auf dem Gebiet der Improvisation ein
bisschen mehr mitbekommen als einige meiner Kollegen. Ich improvisiere wahnsinnig gerne,
was nicht so viele können, Gott sei Dank. Ich habe einen roten Faden, auf dem fahre ich
durch die Show, auf dem beweg ich mich und baue auf. Und dann habe ich die Möglichkeit,
sofort rechts und links auszuscheren, wenn ich das Gefühl habe, ja, das isses, da geh ich
weg.
Andere können das nicht, die klammern sich an ihre vorfabrizierte Geschichte, die
machen eine Show über die Köpfe des Publikums hinweg. Das Publikum merkt solche Dinge.
Die Leute haben gerne, wenn sie spüren, du hast dich mit ihnen befasst. Du hast dich mit
der Gegend, ihrer Region auseinandergesetzt. Ich arbeite zu einem gewissen Prozentsatz
immer ortsbezogen, das mögen die Leute natürlich. Dadurch, dass ich extrem viel
improvisiere, kommt es extrem locker rüber.
Meine Natürlichkeit ist mein Vorteil gegenüber Kollegen, die einfach
ihr Ding durchziehen, starr bleiben, da kommt der Mensch nicht durch, und ich lasse
einfach meine Gefühle in jeglicher Form raus. Das kann durch Reden sein, oder indem ich
singe. Und wenn es mir nicht gut geht, wenn ich auf die Bühne gehe, und ich weiss, ich
kann das Lied heute live gar nicht gut singen, weil ich die Töne nicht bekomme, dann mach
ich das trotzdem. Und die Leute honorieren das, weil sie zwar durchaus merken, der Ton war
falsch, aber von Herzen.
Frage: Aber hilft dir die Verkleidung dabei, natürlich zu bleiben? Gibt es keine
Panik, da auf der Bühne abzustürzen, nicht mehr weiter zu wissen?
Doch, diese Panik gibt's immer. Nur, das merkt das Publikum nicht so. Die Löcher, die
du im Kopf hast, die spürst du kommen, das sind die Momente, wo du dich fragst, ja, wie
mach ich das? Da musst du das Loch mit der Optik überbrücken, mit der Gestik, mit der
Mimik, bis dir wieder was einfällt. Oder du merkst auch, du sagst was, aber du hast das
Publikum verloren, es macht Puff, und die Leute sind weg. Und dann kämpfst du, wie
kriegst du sie wieder? Kriegst du sie überhaupt wieder, kannst du sie zurückholen? Oder
war dieser Satz der Bruch, und man hat sich vollständig verloren?
Das ist eine Frage der Tagesform, das ist das Schöne, das diese Arbeit ausmacht, sie
ist jeden Tag neu. Wenn ich im Büro sitze, an der Schreibmaschine, und ich drücke auf A, dann kommt A. Das
kann ich auf der Bühne nicht. Ich kann drücken, und es kommt überhaupt nichts. Ich gehe
im ersten Teil der Show raus, und die Leute waren toll, gingen mit, haben sich sichtlich
amüsiert. Und dann geh ich im zweiten Teil raus, plötzlich ist ne andere Atmosphäre
entstanden, da musst du in Sekunden umstellen können. Das macht diesen Job aus, du weisst
während der laufenden Vorstellung nie im voraus, was passiert. Du kannst die Leute in
Sekunden verlieren, und dann sind sie weg.
Oder es macht Pumm, die Stimmung ist so gut, dass du dir einfach alles erlauben kannst,
in dieser Euphorie kannst du machen, was du willst. Sie rasen, sie toben, und das sind so
diese Glücksmomente, die man mit nichts beschreiben kann, die man niemandem vermitteln
kann rein von der Erzählung her. Das ist d a s, wenn es passiert. Es ist das auch das
Glück des Zuschauers, wenn er an diesem Abend, in diesem Moment mit dabei sein kann. Das
sind die Sachen, die dann auch weitergegeben werden durch Erzählungen, wo ein Mythos
entstehen kann. Viele sehen mal eine Show und fragen sich, was ist daran bloss besonders?
Die haben nicht miterleben können, was in einem bestimmten Moment eben passiert ist, was
in einem bestimmten Moment passieren kann.
Frage: Die Magie des Augenblicks?
Man kann es nicht in Worte fassen, man kann es nur begreifen, wenn man mit dabei war.
Solche Momente hat ein Künstler auch nicht jeden Tag und auch das Publikum nicht. Das
sind die Highlights in deinem Leben. Diese Show, dieser Abend. Da spricht man dann auch in
zehn Jahren noch drüber. Und dann arbeitest du manchmal ein Jahr, wo nichts
Vergleichbares mehr kommt, wo du sagst, ja, schöner Abend, aber es war nicht d a s.
Dieses Einzigartige. Dieses ganz Spezielle.
Frage: Hilft dir die Verwandlung in eine Kunstfigur dabei, diesen Fluss an Kreativität
in Gang zu setzen?
Schon, auf jeden Fall, vor allem am Anfang, wenn du neu bist im Geschäft. Ich hab das
gemerkt bei einigen Sachen. Aber da ist es jetzt passiert, dass ich mal einspringen
musste, weil jemand ganz kurzfristig ausgefallen war, und ich hatte keine Möglichkeit
gehabt, mich zu schminken. Ich bin dann einfach so auf die Bühne gesprungen, als Mann, in
den Jeans und dem Hemd. Ich hab dann gemerkt, dass das heute bei mir nicht mehr unbedingt
an der Verkleidung liegt. Ich hab als Mann einen vergleichbaren Erfolg gehabt. Ich hab
ihnen dann gesagt, ich bin der und der, und ich hab gemerkt, es lag an meiner
Ausstrahlung, an dem, wie ich etwas sage oder mache. Sie haben auch meine Optik als Mann
akzeptiert.
Da hab ich gemerkt, es liegt viel an der Ausstrahlung und nicht nur an der Verkleidung,
obwohl ich das auch immer geglaubt habe. Es ist die Persönlichkeit, der Ausdruck, die
Bewegung. Man kann ja bis heute nicht ergründen, warum Leute auf jemanden anspringen. Es
gibt Künstler, die singen zehnmal besser als ich, aber die können sich eine Stunde auf
die Bühne stellen, und da passiert nichts. Ich komme raus, singe verkehrt, und trotzdem
macht's Peng. Woran liegt es? Ich kann das nicht erklären. Ich frag mich manchmal selber,
wieso?
Frage: Hast du keine Panik, auf die Bühne rauszugehen?
Immer. Ich bin auf total hoher Konzentration, jeden Abend. Wenn ich auf die Bühne
gehe, wirke ich äusserlich vielleicht ruhig, aber ich bin so hochgradig konzentriert, es
kann sich niemand vorstellen, was dabei im Hirn abläuft. Es denkt oben so schnell, dass
ich unten die Worte nicht schnell genug rauskriege. Ich stolper, ich setze Sätze und
Wörter zusammen, die keinen Zusammenhang haben, im Moment. Und dann muss ich mich selber
wieder beruhigen, mir sagen, Augenblick, du musst das jetzt erst ordnen im Kopf. Aber ich
bin jeden Tag aufs neue in Panik, dieses Lampenfieber brauche ich, es gehört mit dazu.
Ein Mensch, der auf eine Bühne geht, und kein Lampenfieber hat, der Mensch gehört nicht
mehr auf eine Bühne, der spürt eigentlich gar nichts mehr. Diese Angstmomente, dieser
Stoss, der im Körper stattfindet, der ist nicht unbedingt schön, aber gut, notwendig.
Nur so kannst du dich zu Leistungen bringen. Wenn ich auf eine Bühne gehe, und mir sage,
es ist mir egal, na ja, das war's dann, das Ende.
Ich bin jedesmal in Panik. Du willst doch, dass die Leute dich mögen, dass sie dich
gut finden. Dafür machst du das alles. Vielleicht sind das die Ausgleiche, die du in
deinem privaten Leben nicht hast, vielleicht gleichst du damit das Privatleben aus. Dieses
Gemöchtwerden ist schön, dass die Leute kommen und sagen, Mensch, es war toll. Davon
lebt man doch, nicht nur nur vom Geld. Das ist klar, das Geld brauch ich zum Leben. Aber
auf der Bühne sind es die Streicheleinheiten, die dir jemand geben kann, die du
vielleicht anderswo nicht bekommst.
Nur, man sollte das nicht überschätzen, man muss als Künstler lernen, alleine zu
sein. Wenn der Abend vorbei ist, bist du allein, und du bleibst auch allein. Damit musst
du umgehen können. Nachher ist niemand mehr da. Man schiesst dich in eine Euphorie, auf
eine Höhe, nur keiner bleibt, wenn du auf dieser Höhe bist. Du fällst dann ganz tief
runter. Du musst lernen, diesen Bruch abfangen zu können, wenn du nachher ganz allein in
deinem Zimmer bist. Die andern gehen in ihre Lebensbereiche zurück, die haben ihre
Freunde, ihre Familie und, und, und. Aber alleine bleibst du nachher, in einer fremden
Stadt. Das ist nicht ungefährlich, das ist eine Gratwanderung: Diese irrsinnige Euphorie
und der tiefe Sturz, den musst du selber abfangen können, sonst gehst du daran kaputt.
Frage: Lass uns später vom privaten Glück oder Unglück reden: Du hast gesagt, dass
du so schnell denkst, dass du unten mit dem Reden gar nicht mehr mitkommst. Das wirkt auf
mich wie ein Vulkan. Ist diese Frauenmaske auch eine Art Klammer, die den Vulkan vor dem
Explodieren bewahrt?
Diese Maske ist ganz selbstverständlich ein Schutz gewesen, um auf eine Bühne zu
gehen, um das zu machen, was ich mache. Ich hab ja immer die Angst gehabt, es akzeptiert
mich niemand, so wie ich bin. Und als Mann kann ich das einfach nicht machen. Das war
immer ein Schutzschild, weil ich ja wusste, keiner weiss, wie ich tatsächlich ausseh.
Diese ganze Verkleidung, die Maske, die Schminke, dadurch entsteht optisch ja ein ganz
anderer Mensch, draufgemalt auf das Gesicht. Das Nichterkennen hat mir geholfen, ich hab
gewusst, ich kann mir diese und jene Frechheit erlauben, ich kann nachher in die
Anonymität zurückgehen, ohne dass mich jemand darauf anspricht, und ich Red und Antwort
stehen muss, das ist ganz klar, ja. Also es schützt schon, auf jeden Fall. Und: Diese
Maske im Travestiegeschäft, die ist häufig positiver als die Sache darunter, sag ich
jetzt mal. Viele Travestie-Künstler kriegen dafür mehr Komplimente, und darum machens
sie's auch, das ist ganz klar auch ein Element. Mein Gott, du siehst ja toll aus. Und
super. Wer hört denn das nicht gerne einmal?
Frage: Das kannst du einem europäschen Mann ja auch nicht so ohne weiteres sagen,
oder?
Nee, eigentlich nicht. Das sind wieder diese Sachen, wenn du einem Mann sagst, du
findest ihn toll, dann wird das gleich falsch ausgelegt. Das ist bei uns halt so. Die
Maske ist ein Schutzschild, das, was darunter liegt, das ist viel verletzlicher.
Frage: Der Geschlechterwechsel in der Travestie ist wahrscheinlich der stärker
Schutzschild, als wenn man sich einfach als Ritter verkleidet.
Ja, wenn ich mich als Ritter oder Pirat verkleide, kriege ich nie diese
Komplimente, man bringt mir nicht diese Gefühle entgegen, die ich bekomme, wenn ich als
Frau dort sitze.
Frage: Sind Frauen in unserer Gesellschaft die schöneren Wesen?
Bei uns schon, in der Natur ja nicht so sehr. Bei den Tieren ist es ja umgekehrt, da
sind die Männer die hübscheren, grösstenteils. Bei den Menschen haben die Frauen
einfach die Möglichkeit, mehr aus sich zu machen. Sie machen es manchmal nicht, das ist
das Problem. Jede Frau hat die Möglichkeit, das, was sie an natürlicher Schonheit hat,
auszureizen, wobei es auch Grenzen gibt, die von den Männern gesetzt werden. Diese
Unterdrückung läuft, klar. Und die gibt es in unserer Branche nicht, wir sind da
keinerlei Restriktionen ausgesetzt. Travestie ist eine berzeichnung, eine
berdehnung, Travestie ist nicht für den Alltag. Wir sind wesentlich farbiger und
schriller in allem, weil sich ja ein Show-Effekt ergeben soll. Keine Frau könnte wie ein
Travestie-Künstler tagsüber auf der Strasse rumlaufen, das wäre albern.
Frage: Ist Travestie für die Nacht?
Ist eigentlich für die Nacht, weil das andere, das für den Tag, das wäre dann wieder
Transsexualität. Die Transsexuellen wollen auch nicht auffallen, sie wollen als Frauen
wahrgenommen werden, fühlen und bewegen sich auch so. Aber nie so überdehnt, überzogen
wie wir. Die wollen als Frauen akzeptiert werden, sie sehen sich nicht als schillernde
Nachtwesen, wie wir in der Travestie das tun.
Frage: Als Mann kann man diesen Grad der Selbstinszenierung nicht durchziehen, wie das
in der Travestie möglich ist? Für Männer ist vieles verboten, Mann schminkt sich nicht,
das ist Anlass für hämische Gelächter, aber als Frau hat man diese Möglichkeit. Warum
soviele Tricks bei der Selbstinszenierung?
Ja, das sind diese Dinge, die sich die Männer in Generation selber auferlegt haben,
und das kriegen wir auch nicht in zwei, drei Generationen wieder raus. Für mich ist in
erster Linie wichtig, Mensch zu sein, und diese ganzen Kriterien, die durch Erziehung,
Religion entstanden sind, die werden sich irgendwann - vielleicht erleben wir es nicht
mehr mit - sowieso verflüchtigen. Wir haben uns das selber auferlegt.
Ein Mann darf nicht weinen, also darf er sich auch nicht schminken, er darf kein Kleid
anziehen, das wird alles falsch ausgelegt. Warum wagt man nicht mehr Natürlichkeit? Wenn
es dieser Person gefällt, muss ich sie doch nicht gleich in irgendeine Schublade
zwängen, sagen, er ist soo und soo, bloss weil er daas und daas tut. In Schottland haben
die Männer schliesslich auch Röcke an, und keiner sagt was, oder? Da ist das dann
einfach eine gewachsene Tradition. Wenn bei uns einer im Schottenrock rumläuft, da fallen
gleich alle in Ohnmacht. Weil wir es nicht gewohnt sind, wir kennen das nicht.
Frage: Wo kommst du her?
Von meiner Mutter natürlich. Aber im Ernst: Als geboren bin ich in der Lühneburger
Heide, zwischen Bremen, Hamburg und Hannover. Dann bin ich aber grossgeworden in Köln,
von der Mentalität her, Rheinische Frohnatur, sagt man. Und dann hab ich überall
gewohnt, München, Hamburg, bin sehr viel rumgereist. Dadurch, das ich schon früh aus der
sogenannten Norm ausgestiegen bin und ein offeneres, freieres Leben geführt habe, muss
ich sagen, hab ich Glück gehabt. Mir wurden dadurch nie so viele Zwänge auferlegt, ich
konnte mein Leben so führen, wie ich es eigentlich wollte, obwohl ich es nicht immer
getan habe, aber das ist wieder ne andere Sache, das liegt an mir. Aber ich hatte ja die
Möglichkeit, ich war keinem Chef untergeordnet, immer nur zeitweise, wenn ich irgendwo
engagiert wurde, musste ich mich an die Regeln halten. Ich hab tagsüber keine
Kleidervorschriften gehabt, musste nicht irgendwie soo aussehen, weil ich daa arbeite.
Oder ich musste nicht darüber diskutieren, warum ich jetzt lange Haare habe (hatte) oder
warum ich nen Ohrring trage und, und, und.
Mein Tagesleben konnte ich so gestalten, wie ich das wollte. Ich habe immer frei leben
können, es hat für mich nie diese Zwänge gegeben, wie es sie für viele andere
tagtäglich gibt. Es war eben bekannt, der macht Travestie-Show. Warum kann es im Alltag
nicht so sein, dass man sagt, O.K., der geht auf die Bank, das ist sein Job. Und nachher
im Privatleben sollte er tun und lassen können, was er möchte. Die Leute reden, jetzt
schau mal, der arbeitet bei der Bank und geht soo rum. Man lebt viel zu viel für seine
Mitmenschen, ich habe nichts dagegen, mit den Mitmenschen zu leben, aber man soll sich
doch nicht von der Nachbarschaft vergewaltigen lassen. Wenn ich so rausgehe, ist mir doch
egal, was die Frau Schmitz sagt. Ich möchte ich sein. Entweder man akzeptiert das so,
oder nicht. Wobei ich dann doch auch immer wieder merke, dass ich einiges mache, nur für
die Leute, obwohl ich mir eigentlich sage, bist du doof, hast du das nötig? Entweder sie
wollen dich so, oder sie wollen dich nicht.
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